Die Verlockung des schnellen Wegs

Ich verstehe gut, warum der Kauf eines Musterhandbuchs attraktiv erscheint:

• Es sieht so aus, als würden Sie Zeit und Aufwand sparen.
• Es sieht so aus, als würden Sie ein komplettes funktionierendes System bekommen.
• Der Preis erscheint im Vergleich zu einer individuellen Beratung günstig.
• Das Handbuch verspricht Konformität ohne viel nach zu denken.

Doch leider erlebe ich als Auditorin regelmäßig, dass diese Rechnung nicht aufgeht.

Dieser Artikel basiert auf der aktuellen Episode meines Podcasts "QM mit Sinn und Verstand". Sie können die vollständige Folge hier anhören:

Warum Musterhandbücher problematisch sind

1. Überdimensionierung

Viele Musterhandbücher sind für größere Organisationen konzipiert. Für kleine Organisationen enthalten sie oft unnötige Prozesse und Strukturen. Ein Beispiel aus meiner Praxis: Ein Zwei-Personen-Unternehmen hatte ein Handbuch mit Prozessen für zwölf verschiedene Stellen und Rollen – von der Geschäftsführung bis zur Qualitätsmanagement-Assistenz.

2. Fehlende Passung

Standardlösungen berücksichtigen nicht Ihre spezifischen Herausforderungen, wie zum Beispiel - es passt häufig einfach nicht:

• Organisationsstrukturen
• Arbeitsweisen
• Zielgruppen
• Besonderheiten Ihres Angebotes

3. Mangelndes Verständnis

Wenn Sie die Prozesse nicht selbst entwickelt haben:

• fällt es schwer, sie im Audit zu erklären
• können Sie Fragen oft nicht überzeugend beantworten
• fehlt das tiefere Verständnis für Zusammenhänge

4. Erkennbarkeit im Audit

Erfahrene Auditor:innen erkennen Musterhandbücher sofort. Und zwar an:

• typischen Formulierungen
• standardisierten Strukturen
• fehlender Individualität Das kann im schlimmsten Fall zum Scheitern der Zertifizierung führen.

Was tun, wenn Sie jetzt schon ein Musterhandbuch gekauft haben?

Keine Sorge – auch ein gekauftes Handbuch kann als Ausgangspunkt dienen. Hier sind 8 konkrete Schritte zur Anpassung:

1. Gründliche Prüfung
   • Lesen Sie jeden Abschnitt gründlich.
   • Markieren Sie unverständliche Stellen.
   • Notieren Sie Fragen und Unklarheiten und lassen Sie sich das noch mal erklären.
2. Prozessanalyse
   • Prüfen Sie jeden vorgegebenen Prozess.
   • Vergleichen Sie mit Ihrer tatsächlichen Arbeitsweise.
   • Streichen Sie oder ändern Sie, was nicht zu Ihnen oder Ihrer Arbeitsweise passt.
3. Strukturanpassung
   • Gleichen Sie Funktionen und Stellen mit denen in Ihrer Organisation ab.
   • Passen Sie Verantwortlichkeiten an.
   • Entfernen Sie nicht existente Positionen und Rollen.
4. Sprachliche Überarbeitung
   • Formulieren Sie in Ihren eigenen Worten, wenn Sie das nicht können, haben Sie`s noch nicht verstanden.
   • Verwenden Sie Ihre üblichen Begriffe, nicht die der Normen.
   • Machen Sie den Text verständlich für Ihr Team, wenn denn eins da ist.
5. Teameinbindung
   • Besprechen Sie die Prozesse mit Kolleg:innen.
   • Sammeln Sie Feedback und Verbesserungsvorschläge.
   • Integrieren Sie das Wissen Ihrer Mitarbeiter:innen.
6. Dokumentenprüfung
   • Sichten Sie alle vorgeschlagenen Formulare.
   • Behalten Sie nur wirklich notwendige Dokumente.
   • Entwickeln Sie eigene, passende Vorlagen.
7. Individualität einbringen
   • Ergänzen Sie Ihre Besonderheiten.
   • Beschreiben Sie Ihre Alleinstellungsmerkmale.
   • Zeigen Sie Ihre Stärken.
8. Kritische Überprüfung
   • Hinterfragen Sie jeden Abschnitt.
   • Prüfen Sie den praktischen Nutzen.
   • Entfernen Sie Überflüssiges.

Mein Tipp als Auditorin

Lieber ein eigenes System mit kleinen Lücken als ein perfektes, aber unpassendes Musterhandbuch. Warum? Im Audit zeigen kleine Lücken, dass Sie sich ernsthaft mit QM auseinandergesetzt haben. Sie können diese nacharbeiten. Ein offensichtlich nicht gelebtes Musterhandbuch dagegen gefährdet Ihre gesamte Zulassung.

Fazit

Ein QM-System muss zu Ihrer Organisation passen wie ein maßgeschneiderter Anzug. Musterhandbücher sind bestenfalls Konfektionsware, die aufwendig angepasst werden muss. Der vermeintlich schnelle Weg über ein gekauftes Handbuch kostet Sie oft mehr Zeit und Nerven als die eigenständige Entwicklung.

Wie geht es weiter?

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